Die Alternativmedizin erfreut sich besonders in akademisch gebildeten Kreisen großer Beliebtheit. Zweifellos können viele gesundheitlichen Störungen mit alternativmedizinischen Verfahren günstig beeinflusst werden, auch wenn sich hinter diesen oft verblüffenden Wirkungen meistens nichts anderes als der gute, alte Placeboeffekt und die „Droge Arzt“ verbergen – dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden.
In der Kieferorthopädie ist aber aus dem selben Grund mit alternativmedizinischen Verfahren wenig auszurichten, denn Zähne lassen sich weder mit Handauflegen noch mit homöopathischen Mitteln durch den Kieferknochen bewegen. Zahnbewegung funktioniert nur mit zielgerichteten, mechanischen Kräften. Die wenigen Kieferorthopäden, die trotzdem „alternativ“ arbeiten, verzichten auf alle effektiven, modernen Behandlungsverfahren und arbeiten im Grunde nicht anders, als es im Deutschland der 50er und 60er Jahre allgemein üblich war. Die alternativen Kollegen sind also keineswegs innovativ, sondern eher stockkonservativ. Die leistungsfähigste und effektivste Zahnspange, nämlich die festsitzende Spange oder genauer die Multibracketapparatur, wird verschmäht, die Gaumennahterweiterung verteufelt, notwendige Zahnentfernungen werden unterlassen, die kombinierte kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlungsform kommt überhaupt nicht vor.
Statt dessen werden herausnehmbare Geräte eingesetzt, die im letzten Jahrhundert zwischen 1920 und 1960 entwickelt worden sind, damals auch durchaus ihre Berechtigung hatten, heute aber als Behandlungsmittel meist veraltet sind. Sieht man sich die Konzepte der ,,alternativ“ arbeitenden Kieferorthopäden im Detail an, so sind sie eigentlich überhaupt nicht ,,ganzheitlich“, sondern mechanistisch und irrational. Fast alle wissenschaftlichen Fortschritte der letzten 60 Jahre werden souverän ignoriert, weil man glaubt, im Besitz ewiger, unabänderlicher Erkenntnisse zu sein. Klar, dass alternativmedizinisch orientierte Kieferorthopäden den Fortschritt im Fach deshalb nicht zur Kenntnis nehmen brauchen. Dies zeigt die Stärke und gleichzeitig die Schwäche eines in sich geschlossenen Glaubenssystems: einerseits glaubt man sich im Besitz absoluter, zeitloser Wahrheit, andererseits fehlt jede Flexibilität und Neugier zur Aufnahme neuer Erkenntnisse. Was kann die bescheidene, wissenschaftliche Medizin schon dagegenhalten: immer nur Tageswahrheiten, die schon bald wieder durch neue Erkenntnisse überholt sein können. Und um diese bescheidenen Fakten muss man sich auch noch ständig bemühen, um auf dem Laufenden zu bleiben!
Die Patienten büßen ihren Glauben an eine sanfte, alternative Kieferorthopädie letzten Endes dreifach: sie müssen überlange Behandlungszeiten bis zum Vielfachen des heute Üblichen in Kauf nehmen, müssen sich mit Misserfolgen oder bescheidenen Ergebnissen zufrieden geben, und dafür auch noch hohe Behandlungskosten für verschiedene Zusatztherapien von Farbpsychologie und Homöopathie bis zur Lymphdrainage tragen. Hier besteht also offensichtlich ein ganz schlechtes Verhältnis von Aufwand und Nutzen.
Tip: Finger weg von alternativmedizinischen Verfahren in der Kieferorthopädie, die faktisch nur veraltete Methoden sind. Fast alle alternativmedizinischen Ansätze in der Kieferorthopädie sind mit schlechter Effizienz oder völliger Nutzlosigkeit behaftet.