Damon-Brackets – große Sprüche, enttäuschende Fakten

Traditionell werden die Drähte der festen Zahnspangen an den Brackets mit kleinen Elastiks oder Drahtligaturen befestigt. Seit etwa 1970 sind zahlreiche sogenannte selbstligierende Brackets entwickelt worden, bei denen Ligaturen nicht mehr notwendig sind, sondern ein Klapp- oder Gleitmechanismus im Bracket den Draht festhält. Sicher ist, dass die selbstligierenden Brackets die Zeit für den Drahtwechsel erheblich verkürzen, was für Patient und Behandler ein Vorteil ist. Theoretisch sollte auch die Behandlungszeit kürzer werden, weil die Reibung zwischen Bracket und Draht verringert ist.

Hier tritt besonders der weltweite Marktführer in kieferorthopädischen Produkten, die Firma ORMCO, mit seinem Damon-Bracket hervor. Die Verwendung des Damon-Brackets habe nach deren Werbeaussagen geradezu wunderbare Wirkungen:

  • ­Die Behandlungszeiten mit Damon-Brackets seien wesentlich kürzer und die Behandlung weniger schmerzhaft
  • Mit Damon-Brackets könne fast völlig auf Zahnextraktionen verzichtet werden
  • Dank des Damon-Brackets wäre die unbegrenzte Expansion der Zahnbögen für fast alle Patienten eine angemessene Therapie
  • Dank des Damon-Brackets könne auf Gaumennahterweiterungen und Headgears verzichtet werden.

Diese Aussagen wurden weltweit mit massivem Werbeeinsatz, u.a. mit Showveranstaltungen mit Saalfeuerwerk und Riesenprojektionen an Kieferorthopäden verkauft. ORMCO behauptet in einer bisher in der Branche ungekannten Propagandaberieselung, dass das Damon-Bracket nicht nur ein Bracket sei, sondern ein neuartiges „System“ mit dem eine Art Zeitenwende in der Kieferorthopädie eingeleitet worden wäre.

Leider haben die Werbeaussagen der Überprüfung nicht standgehalten

Inzwischen ist in zahlreichen methodisch hochwertigen Studien nachgewiesen worden, dass die Behandlungen mit Damon-Brackets nicht kürzer sind als mit üblichen Brackets – der angebliche Hauptvorteil ist damit also hinfällig. Ebenso konnte nachgewiesen werden, dass Behandlungen mit diesem Bracket nicht weniger schmerzhaft sind als mit üblichen Brackets. Genauso konnte gezeigt werden, dass es durch die Verwendung der Damon-Brackets nicht, wie oft behauptet, zur Knochenneubildung an den Außenseiten der Kiefer kommt, sondern nur zu einer Kippung der Zähne nach außen und Ausdünnung des bedeckenden Knochens. Damit ist der gesamten Werbekampagne um das Damon-Bracket jede wissenschaftliche Grundlage entzogen.

Besonders unsinnig ist vor diesem Hintergrund die Behauptung, dank Damon-Brackets könne auf die Gaumennahterweiterung (GNE) verzichtet werden. Die Gaumennahterweiterung ist bei skelettal schmalem Oberkiefer ein unersetzliches Standardverfahren, mit dem der Oberkiefer knöchern verbreitert werden kann. Bei der Expansion der Zahnbögen mit Brackets werden dagegen lediglich die Zähne nach außen gekippt, aber es wird keine skelettale Verbreiterung des Oberkiefers erreicht. Eine dentale und eine skelettale Expansion zu verwechseln, heißt einfach, fundamentale Regeln unseres Fachs zu ignorieren. Dass die flotte Expansion der Zahnbögen gleichzeitig auch noch helfen soll, einen Rückbiss aufzulösen und damit auf Headgears verzichten zu können, bleibt eine unfundierte und irrationale Behauptung.

Britische Werbeaufsicht unterbindet Werbung für Damon-Brackets

Mit einer Entscheidung vom 31.05.2017 hat die britische Werbeaufsicht ASA entschieden, dass die Werbung einer Praxis für Damon-Brackets gegen Werberegeln verstößt. Nach einer ausführlichen Prüfung, bei der auch Ormco gehört wurde, stellte die ASA zahlreiche Regelverletzungen fest und untersagte insbesondere zu behaupten, Behandlungen mit Damon-Brackets gingen schneller oder seien weniger schmerzhaft als mit üblichen Brackets – sozusagen der Kern der Damon-Werbung.

Die vollständige Entscheidung der ASA gegen die Damon-Werbung findet sich unter https://www.asa.org.uk/rulings/15-dental-a16-365575.html

Extraktion bleibt in der Kieferorthopädie oft die beste Lösung

Die massiven Expansionen der Zahnbögen, die auf der Website von ORMCO stolz vorgeführt werden, können mit jedem anderen Bracket ebenso durchgeführt werden. Aus wissenschaftlicher Sicht gelten solche extremen Expansionsbehandlungen allerdings nicht als sinnvolle Therapieoption. Bei starker Expansion der Zahnbögen kippen die Zähne samt ihrer Wurzeln nach außen – also aus der Mitte des Kieferknochens heraus – , was zu instabilen Ergebnissen und erhöhtem Risiko von freiliegenden Zahnhälsen führt. Im Grunde wirft uns ORMCOs Nicht-Extraktions-Propaganda auf den Stand von vor 100 Jahren zurück, als schon einmal ein mächtiges Expansionsdogma vorherrschte, das von E.H. Angle ausgesprochen wurde. Angles Expansionsbehandlungen zeitigten jedoch keine stabilen Ergebnisse. Die expandierten Zahnbögen fielen nach der Behandlung regelmäßig auf ihr Ausgangsniveau zurück, was Angles Schüler Tweed so zur Verzweiflung trieb, dass er fast die ganze Kieferorthopädie aufgegeben hätte. Tweed und andere Angle-Schüler gaben entgegen Angles Dogma der Extraktion wieder ihren verdienten Platz in der Kieferorthopädie. Wie ahnungslos und unbelesen müssen heutige Kieferorthopäden eigentlich sein, die hundert Jahre nach diesen Vorgängen in die selbe Falle tappen?

Widerspruch zwischen Wissenschaft und Kommerz

Trotz der niederschmetternden Faktenlage ist es ORMCO gelungen, eine gläubige Gemeinde um das Damon-Bracket zu scharen. Zentraler Glaubenssatz ist: Damon sei kein Bracket, sondern ein völlig neues, einzigartiges „System“, das ein ganzes Universum eröffnet hat. In Deutschland hat dies bereits zur Gründung einer eigenen ,,Deutschen Damon-Gesellschaft“ zur weiteren Bewerbung und Verbreitung des Brackets geführt – als ob sich mit der Verwendung der selbstligierenden Brackets außer der Verkürzung der Stuhlzeiten irgendetwas Substantielles geändert hätte! Zweck der Gesellschaft ist die Propagierung der längst widerlegten, angeblichen Vorteile des Damon-Brackets und letzten Endes die Gewinnung von Patienten, die auf diese Strategie hereinfallen und bereit sind, Mehrkosten für ein Bracket zu leisten. Die Geschichte des Damon-Brackets und seine aggressive Vermarktung, die Gründung von bracketbezogenen Sekten – das ist alles ebenso überflüssig wie peinlich und nur mit der schlechten wissenschaftlichen Ausbildung der Kieferorthopäden, kombiniert mit handfesten wirtschaftlichen Interessen zu erklären.

Dem Damon-Bracket hat zwar objektiv keine besonderen Vorzüge gegenüber anderen selbstligierenden Brackets, wohl aber besondere Nachteile. So fand ein ursprünglich Damon-begeisterter Kieferorthopäde in Bozen (Südtirol, Italien) in einer hochwertigen Studie massive Torqueverluste an den Frontzähnen, die er auf die schlechte Torquekontrolle des „passiven“ Mechanismus zurückführte. Die deutlich sichtbaren Torquefehler mussten mit vielen individuellen Biegungen aufwändig korrigiert werden. Und schlußendlich ist das Damon-Bracket eines der teuersten Brackets auf dem Markt, womit die eigentliche Begründung dieses Produkts deutlich wird.

In unserer kieferorthopädischen Praxis sind etwa 40 Damon-Behandlungen durchgeführt worden, worauf die Verwendung des Brackets wegen seiner zahlreichen Nachteile eingestellt wurde. Bewährt hat sich dagegen in unserer Praxis das ebenfalls selbstligierende SPEED-Bracket, das wir seit 1998 fast ausschließlich verwenden. Immerhin sind unsere Behandlungszeiten deutlich kürzer als die, die bei den Behandlungsbeispielen auf der ORMCO-Website für das Damon-Bracket angegeben sind. Wunder vollbringt das SPEED-Bracket trotzdem nicht, und die Gründung einer deutschen SPEED-Gesellschaft fänden wir abwegig.

Lesen Sie auch:
Das Damon-Bracket – Ein Review (PDF)
Informationen aus Orthodontie und Kieferorthopädie 2018, Bd. 50, S. 135-139

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