Moderne feste Spange – Reduktion auf ein Minimum
Bis heute wird in Deutschland ein großer Teil der kieferorthopädischen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen mit herausnehmbaren Zahnspangen durchgeführt. So gewohnt ist der Anblick von Kindern im Grundschulalter mit einem Mund voll Plastik und Draht, dass kaum jemand daran Anstoß nimmt. Dabei ist die Mehrzahl dieser Spangen in der Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt worden, und es gibt für die meisten Behandlungen längst wesentlich bessere Alternativen.
Durch ihr großes Plastikvolumen behindern die herausnehmbaren Zahnspangen beim Sprechen, während Essen damit vollständig unmöglich ist. Die meisten Kinder fühlen sich daher nach einiger Zeit so eingeschränkt, dass sie die Spangen nur noch nachts tragen. Mit dieser geringen Tragezeit ist aber kein Erfolg zu erreichen, so dass ständiger Druck der Eltern notwendig wird, um den Behandlungserfolg zu sichern. Herausnehmbare Spangen haben eine hohe Misserfolgsrate von gut einem Drittel und führen zu langer Behandlungsdauer und hohen Kosten. Dazu müssen sie wegen ihrer begrenzten Wirkung meistens anschließend von einer festen Spange ergänzt werden, so dass Behandlungszeiten von 4 bis 5 Jahren mit solchen 2-Phasen-Behandlungen keine Seltenheit sind.
Modernes Konzept
Aus diesen Gründen wird in den meisten Industrieländern heute ganz anders behandelt. Die Regelbehandlung erfolgt erst nach vollständigem Zahnwechsel mit 11 bis 12 Jahren, dann aber mit einer einzigen, festsitzenden Spange in einer kurzen Behandlungsdauer von 9 bis 18 Monaten.
Dafür ist eine „Vorbehandlung” mit herausnehmbaren Spangen in der Regel schlichtweg unnötig, da die feste Spange alle erwünschten Zahnbewegungen allein zu Stande bringt. Für die betroffenen jungen Patienten ist diese Behandlungsweise viel angenehmer, denn die festsitzenden Spangen behindern weder beim Sprechen noch beim Essen wesentlich.
Man kann sagen, dass mit einer festen Spange grundsätzlich alles möglich ist, was die jungen Patienten ohne Spange tun, so dass die Behandlungen nicht als so belastend empfunden werden und die Mitarbeit in einer schwierigen Lebensphase nicht so stark gefordert wird. Vor allem sind feste Spangen wesentlich leistungsfähiger als herausnehmbare: nur mit Brackets ist eine präzise Einstellung der Zähne in allen Raumrichtungen möglich, während die grobschlächtigen herausnehmbaren Spangen nur kippende Zahnbewegungen mit oft ungewissem Ausgang bewirken.
Viele wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass festsitzende Apparaturen das beste Verhältnis von Aufwand und Nutzen bieten: mit ihnen erzielt man höchste Erfolgsquoten, beste Ergebnisse und kürzeste Behandlungszeiten.
Kürzere Behandlung ist gesünder
Modern arbeitende Praxen schaffen es, die üblich aktive Behandlungszeit von gut 3 Jahren auf die Hälfte zu reduzieren. Das gibt für Eltern manchmal Anlass zur Sorge, ob das hohe Tempo nicht mit mehr Krafteinwirkung und Risiken für die Zähne verbunden wäre. Zum Glück ist das nicht so: die wichtigsten Tricks, um kürzere Behandlungen zu erreichen, sind einfach die kluge Wahl des besten Zeitpunkts und das Weglassen überflüssiger Behandlungsschritte. Schäden an den Zähnen und Zahnwurzeln kommen dagegen mit längerer Behandlungszeit gehäuft vor, so dass die kürzere Behandlungszeit gleichzeitig auch gesünder ist.
Das geht nur mit festsitzenden Zahnspangen: extreme Verbesserung mit 1 Jahr, 7 Monaten Behandlungszeit
Gebremster Fortschritt
Es ist bedauerlich für die jungen Patienten, dass in Deutschland trotzdem so viel herausnehmbare Zahnspangen in Kindermündern zu sehen sind! Fachleute weisen schon lange darauf hin, dass dies auf einen Fehler in unserer Gebührenordnung zurückzuführen ist. Kieferorthopäden können in Deutschland mit herausnehmbaren Spangen wesentlich mehr Gewinn erwirtschaften, als dies mit festsitzenden Apparaturen möglich wäre. Auch wenn es noch einige Kieferorthopäden gibt, die die herausnehmbaren Spangen aus ehrlicher, alter Liebe einsetzen, liegt es auf der Hand, dass so knappe Mittel des Gesundheitswesens fehlgesteuert werden. Kieferorthopäden aus anderen europäischen Ländern staunen jedenfalls ungläubig, wenn sie von den vier- bis fünfjährigen Behandlungen in Deutschland hören und fragen sich, was die Kollegen in dieser langen Zeit eigentlich machen…
Von deutschen Universitätsabteilungen der Kieferorthopädie werden gelegentlich Versuche unternommen, mit zweifelhaften Daten die obsolete Therapie mit herausnehmbaren Zahnspangen zu rechtfertigen. Gegen eine solche Publikation hat Dr. Madsen einen kritischen Leserbrief verfasst, der im „Journal of Orofacial Orthopedics“ veröffentlicht wurde. Der Leserbrief ist hier herunterzuladen. Man muss den alten Adam eben jeden Tag auf‘s neue ersäufen…
Ändern wird sich dies nur durch einen Bewusstseinswandel auf Seiten der Patienten und der Eltern. Sie sollten wissen, dass in der modernen Kieferorthopädie die Regelbehandlung erst im bleibenden Gebiss mit 11 bis 12 Jahren mit einer einzigen festen Spangen erfolgt. Nur etwa 5% der jungen Patienten profitieren von einem früheren Behandlungsbeginn, wobei dies meistens sehr ausgeprägte Fehlstellungen sind, die auch für Laien auffällig sind. Behandlungen mit herausnehmbaren Zahnspangen wie auch früher Behandlungsbeginn im Wechselgebiss sollten vor diesem Hintergrund begründete Ausnahmen bleiben, die den Eltern erklärt werden müssen.
Tip: Eltern ist zu empfehlen, einen Kieferorthopäden mit modernem Behandlungskonzept auszusuchen, auch wenn dafür ein längerer Anfahrtsweg in Kauf zu nehmen ist.