OrthoPulse ist ein Produkt der Firma Biolux Research, das der Beschleunigung kieferorthopädischer Behandlungen dienen soll. Es ist ein kompaktes, batteriebetriebenes Gerät, das im Mund angewendet wird und dort Infrarotlicht ausstrahlt, das nahe am sichtbaren Spektrum ist. Das OrthoPulse-Gerät ist in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern als Medizinprodukt zugelassen, was aber nur heißt, dass seine Unschädlichkeit anerkannt wird.
Tatsächlich ist die Anregung vieler biologischer Vorgänge durch Infrarotlicht in Laborversuchen nachgewiesen. Am Patienten angewendet nennt man das Photobiomodulation. Das Infrarotlicht soll die Knochenzellen zu mehr Aktivität anregen und dadurch die Zahnbewegung schneller machen.
Einige Kieferorthopäden werben mit einer Beschleunigung der Zahnbewegung und einer Verringerung der Behandlungsdauer durch OrthoPulse um bis zu 50%. Biolux Research behauptet darüber hinaus, dass es mit OrthoPulse zu weniger Wurzelresorptionen käme. Beides wäre, auch wenn die Kosten für das OrthoPulse-Gerät mit ca. 1000 € recht hoch sind, ein willkommener Effekt – aber stimmt es wirklich, dass OrthoPulse die Behandlungsdauer abkürzt?
Biolux Research empfiehlt, OrthoPulse täglich 10 Minuten anzuwenden. Zur Erinnerung an die Anwendung wird eine App für das Mobiltelefon angeboten. Die Anwendung verursacht ein leichtes Wärmegefühl und wird als angenehm empfunden. Nebenwirkungen der OrthoPulse-Anwendung sind nicht bekannt und sind wegen des verwendeten Infrarotlichts auch nicht zu erwarten. Biolux Research gibt nur ganz wenige Fälle an, bei denen OrthoPulse nicht angewendet werden soll. Dies betrifft die Einnahme von Medikamenten gegen Osteoporose, erhöhte Lichtsensibilität, Infektionen im Mundraum, z.B. Parodontitis, sowie die Epilepsie.
In einer wissenschaftlichen Studie waren die Ergebnisse für OrthoPulse wenig beeindruckend. Die Autoren dieser randomisierten Studie haben bei jungen Patienten mit festsitzenden Zahnspangen die Geschwindigkeit des Lückenschlusses gemessen. Sie fanden 0,042 mm Zahnbewegung pro Woche mit OrthoPulse und 0,039 mm pro Woche ohne OrthoPulse. Der Unterschied von 3 Tausendstelmillimetern ist weder statistisch noch klinisch von Bedeutung und so gering, dass es möglicherweise nur ein zufälliger Fehler der Untersuchung war. Die Autoren selbst merken an, dass die Zahl von 11 untersuchten Patienten sehr klein war, so dass größere Studien nötig sind, um die Wirksamkeit von OrthoPulse endgültig zu klären.
In einer weiteren randomisierten Studie mit 20 Teilnehmern wurde ebenfalls gefunden, dass die täglich 5-minütige Anwendung von OrthoPulse keine Wirkung auf die Zahnbewegung hatte. OrthoPulse hatte dabei weder Einfluss auf die Geschwindigkeit des Lückenschlusses, die Zahnrotation noch auf den Verankerungsverlust.
Biolux Research, der Hersteller von OrthoPulse, behauptet dagegen – kaum überraschend – auf seiner Website, dass die Wirksamkeit seines Produkts in der Kieferorthopädie wissenschaftlich nachgewiesen wäre. Auf der eigenen Website werden von Biolux Research 7 internationale Universitäten aufgeführt, die die Wirksamkeit von OrthoPulse bestätigen würden (www.orthopulse.com). Das ist nur leider ebenso falsch wie unseriös, denn keine der genannten Universitäten steht für die Wirksamkeit von OrthoPulse ein. Der größte Teil der von früher von Biolux Research für OrthoPulse aufgeführten Studien waren keine Studien an Patienten, sondern Laborstudien an Knochenzellen.
Die ersten Patientenstudien über OrthoPulse waren von zweifelhafter Qualität. So gibt es z.B. eine „vorläufige“ Studie, die nicht randomisiert war, bei der die Patienten nicht gleichzeitig und auch noch mit verschiedenen Brackets behandelt wurden. Immerhin erkennen diese Autoren die meisten Schwächen ihrer Studie an. Diese methodisch schwache Studie fand tatsächlich 1,27mm Zahnbewegung pro Woche mit Orthopulse gegenüber 0,44mm ohne Orthopulse. Das wäre wirklich eine bedeutende Beschleunigung – aber leider ist eine schwache „vorläufige“ Studie keine ausreichende Grundlage, um die Anwendung von OrthoPulse in der Kieferorthopädie zu empfehlen.
Bedenklich ist auch, dass mehrere der Autoren auf der Gehaltsliste von Biolux Research stehen, so dass es sich hier um eine bestellte, man könnte auch sagen gekaufte, Studie handelt. Der Verdacht liegt nahe, dass damit auch die Art der Ergebnisse bestimmt werden. In jedem Fall liegt bei dieser Studie ein Interessenkonflikt vor – wissenschaftliche Forschung versus Gewinnstreben der Herstellerfirma von OrthoPulse – der leider von den Autoren unerwähnt bleibt. Damit verstoßen die OrthoPulse-Verfechter gegen die Regeln wissenschaftlichen Publizierens.
In den letzten Jahren wurden dagegen auch Studien publiziert, in denen eine Nutzen von Orthopulse gefunden wurde. Viele dieser Studien kreisen um das Thema Schmerzempfinden mit festsitzenden Apparaturen, und in diesem Punkt geben mehrere Studien einen gewissen Nutzen der Orthopulse-Anwendung an. Dies würde zumindest für einen gewissen biologischen Effekt während der kieferorthopädischen Behandlung sprechen.
Die interessanteste Studie untersucht dagegen die Geschwindigkeit der Zahnbewegung, wobei eine um etwa 30% schnellere Zahnbewegung unter Orthopulse-Anwendung gefunden wird. Das wäre zweifellos ein bemerkenswerter Nutzen. Es handelt sich immerhin um eine methodisch solide, randomisierte und kontrollierte Studie, die an einer Universitätsklinik durchgeführt und einem anerkannten wissenschaftlichen Journal veröffentlicht wurde. Man darf gespannt sein, ob der hier gefundene Nutzeffekt durch weitere Studien bestätigt wird.
In einer weiteren methodisch hochwertigen, randomisierten Studie wurde mit Orthopulse-Anwendung bis zu 24 Stunden nach Aktivierung einer festsitzenden Zahnspange eine Schmerzreduktion nachgewiesen, die danach jedoch nicht mehr anhielt. Wurzelresorptionen wurden durch die Orthopulse-Anwendung dagegen nicht beeinflusst.
OrthoPulse hat also möglicherweise eine Wirkung auf die Geschwindigkeit der Zahnbewegung, und damit auf die Dauer kieferorthopädischer Behandlungen, nur leider wissen wir nicht sicher, in welchem Umfang dieser Effekt besteht. Eine Halbierung der üblichen Behandlungszeit ist in keinem Fall zu erwarten, eine Beschleunigung um 30% wäre zumindest denkbar. Die Ergebnisse der zitierten Studien sind in dieser Hinsicht jedoch widersprüchlich. Auf die Schmerzempfindung bei kieferorthopädischen Behandlungen besteht ein gewisser Effekt, der in mehreren Studien bestätigt wurde.
Schlecht ist dagegen die Beweislage bei der angeblichen Verringerung von Wurzelresorptionen durch OrthoPulse, wofür keinerlei Belege vorliegen. Biolux Research hat in der Vergangenheit wissenschaftliche Autoren bezahlt und hat selbst Studien über Orthopulse in Auftrag gegeben, die jedoch wegen des Interessenkonflikts mit großer Vorsicht zu interpretieren sind. Fraglich ist, ob Kieferorthopäden auf der Grundlage des heutigen Wissensstandes Patienten OrthoPulse empfehlen bzw. verkaufen sollten.
Tipp für Patienten: Wenn Ihnen OrthoPulse angeboten wird, fragen Sie nach eindeutigen Beweisen für die Wirksamkeit des Produkts. Es gibt Studienergebnisse, die für schnellere Zahnbewegung und verringertes Schmerzempfinden sprechen, während die Verringerung von Wurzelresorptionen bisher nicht bestätigt werden konnten.
Solange eindeutige Belege nicht vorliegen, ist die OrthoPulse-Anwendung ein Experiment zu Lasten der Patienten. Vor diesem Hintergrund muss sich jeder Patient selbst fragen, ob die 1000€ für das OrthoPulse-Gerät und die tägliche Anwendung des Geräts im Mund gut investiert sind, oder ob das Geld nicht besser in einen schönen Kurzurlaub gesteckt werden sollte!